#21 Ewigkeit mitten in der Zeit – oder: Warum der Begriff Unendlichkeit in die falsche Richtung weist

Das raumorientierte, eher statisch gedachte Kirchenverständnis liegt zu weiten Teilen im griechischen Begriff von „Ewigkeit“ begründet. Häufig wird Ewigkeit dabei mit Unendlichkeit gleich gesetzt. Das ist aber irreführend. Nach althebräischem Verständnis geht es bei dem, was im Deutschen mit „Ewigkeit“ übersetzt wird, eher um eine Intensivierung von Zeit. Je mehr wir uns auf das biblisch-hebräische Verständnis einlassen, desto weniger können wir Kirche als vorrangig raumorientierte Gemeinschaft denken. Wenn also die Teilhabe an der göttlichen Welt eine Erfahrung höchster Vitalität und Dynamik ist, wie ließe sich diese lebensbejahende Erfahrung bereits jetzt in christlichen Gemeinschaften abbilden?

Quellen:

  • Boman, Thorleif: Das hebräische Denken im Vergleich mit dem griechischen, Göttingen, 5. Auflage 1968, S. 104-133. | Zitate von Seite 108 und 131.
  • Moltmann, Jürgen: Die ersten Freigelassenen der Schöpfung – Versuche über die Freude an der Freiheit und das Wohlgefallen am Spiel, München 1971.

2 Gedanken zu „#21 Ewigkeit mitten in der Zeit – oder: Warum der Begriff Unendlichkeit in die falsche Richtung weist“

  1. Lieber Jens,
    ich höre sehr fasziniert deinen Podcast, habe dazu einige Worte Fragen:
    1. Wie harmonisierst du dein Zeitverständnis mit der Erfahrung des Alterns und Vergehens sowie der damit verbundenen Hoffnung auf Erlösung vom Schmerz wie z. B. in Offb 21 beschrieben?
    2. Wie harmonisierst du deine Ablehnung der biblischen Ewigkeit als Parallelwelt mit der Erfahrung der Dreidimensionalität unserer Welt, in die hinein auf irgendeine Weise Gott wirkt? Besteht der Pantheismus nicht wesentlich aus der Ablehnung descPatallelgrdankens? Gottes Welt ist dort nicht parallel, sondern immanent bis dahin, dass die Welt aus Gott besteht und in ihrer Summe Gott ist.
    3. Unsere Chronologie ist ja keine aufoktroyierte abstrakte Erfindung. Sie orientiert sich an der Astrophysik, hat also ihre Berechtigung. Wenn Ewigkeit nur eine Erfahrungs-Intensivierung der Chronologie ist, wie stelle ich mir dann Leben nach dem Tod zeitlich und räumlich vor?

    1. Lieber Gerd,
      vielen Dank für deine anspornende Rückmeldung und für deine Fragen. Die Fragen sind nicht leicht zu beantworten. Ich versuche mal, meine Perspektive darauf zu beschreiben.

      1) Erfahrung des Vergehens
      Mit meiner Episode habe ich nicht beabsichtigt, ein eigenes Zeitverständnis zu beschreiben, sondern zu erläutern, dass eine unendliche griechische Chronos-Zeit nicht dazu taugt, das hebräische „ewige Leben“ zu beschreiben. In dieser Weltzeit machen wir die Erfahrung von Werden und Vergehen. Die neue Weltzeit, die Jesus beschreibt, schließt sich nicht einfach an diese Weltzeit als „unendliche Ewigkeit“ an. Bei diesem Gedanken kommt immer Langeweile auf, weil man nicht so genau weiß, was wir denn „unendlich lange“ im Himmel machen werden. Stattdessen beginnt die neue Weltzeit überall schon jetzt, aber unsichtbar im winzig Kleinen, im Inmitten und Dazwischen, dort wo Christus geehrt wird.

      Ich möchte mich überhaupt nicht gegen eine chronologische Zeit aussprechen. Aber betonen: Die Chronos-Zeit ist Zeit zum Tode. Sie bringt den Tod. Unser irdischer Körper gehört in die Sphäre der Chronos-Zeit und wird altern und vergehen. Der „innere Mensch“ wird jedoch „von Tag zu Tag erneuert“. Und er bekommt einen eigenen, neuen Körper, sobald unser jetziger Körper zerfällt (1.Kort.15). Der Geist der Auferstehung ist also nicht körperlos im gnostischen Sinne, sondern erhält einen verwandelten Körper. Paulus sucht nach Worten und Vergleichen, weil man sich nicht wirklich vorstellen kann, wie das genau vor sich sehen wird. Wie es bei Jesus geschehen ist, wissen wir ja auch nicht.

      2) Ewigkeit als Parallelwelt.
      Möglicherweise liegt hier ein Missverständnis vor. Was ich ablehne, ist die Vorstellung einer „räumlichen“ Parallelwelt. Also einer Welt, die irgendwo anders ist, wohin wir dann teleportiert werden. Diese räumliche Parallelwelt ist eine missionarische Übersetzung in das Griechentum mit seiner Vorstellung von Seelenwanderungen. Mir dagegen geht es um eine zeitliche Tiefendimension der Existenz. „Der Himmel“ ist immer gegenwärtig. Er liegt „unter der Oberfläche“ des Sichtbaren. Aber auch meine Formulierung ist eine sprachliche Übersetzung in eine postmoderne Kultur. Postmodern wird Gott nicht mehr „über uns“ oder „fernab von uns“ vorgestellt. Das ist wenig attraktiv. Stattdessen ist Gott ganz nah. Aber eben nicht greifbar und verfügbar. Insofern spreche ich eher von einer Durchdringung. Das meint nicht Pantheismus, sondern eher Pan-en-theismus. Also: Nicht „die Natur ist göttlich“, sondern Gottes Gegenwart erweist sich überall „inmitten“ der Schöpfung.

      3) Chronologie
      Zeit hat verschiedene Dimensionen, sie ist nicht nur einfach die vierte Dimension zusätzlich zu den drei Raumdimensionen. Das Chronologische ist eine Dimension der Zeit. Dadurch werden wissenschaftliche Berechnungen möglich. Astronomie und Atomphysik sind der Taktgeber. Das physikalisch Seltsame ist: Zeit hat eine Richtung. Sie lässt sich nicht umkehren. Die chronologische Sicht ist eine tote Sicht auf die Zeit. Vergangenheit und Zukunft gelten als qualitativ gleich. Hebräisch drängt die Zeit jedoch nach vorn. Sie pulsiert. Deswegen spricht Jesus von Wehen. Ereignisse sind wie Herzschläge der Geschichte.

      Habe ich gesagt, dass Ewigkeit eine Erfahrungsintensivierung der „chronologischen“ Zeit ist? Wenn ja, war das falsch. Oder verkürzt ausgedrückt. Nicht die chronologische Zeit wird intensiviert, sondern das Erleben. Unser Erleben verdichtet sich so stark, dass für uns „die Zeit quasi stehen bleibt“. Die Vorstellung von einer endlos ausgedehnten Zeit fühlt sich in unserem Kulturkreis wie eine Bedrohung an. Es klingt eher nach Hölle als nach Himmel. Großartig wäre aber, wenn ein Glücksmoment so intensiv ist, dass „in unserem Erleben“ die Zeit gewissermaßen stehenbleibt.

      Der Himmel hat keine irdisch chronologische Zeit. In diesem Sinne ist er zeitlos, also ohne Zeit. Oder anders gesagt: Er hat Gottes Zeit, die anders ist als unsere. Um sich die Intensivierung des Lebens, sprich: das ewige Leben, ansatzweise vorzustellen: Der Himmel ist überwältigendes Staunen, versunkenens Verliebtsein und überfließende Erfüllung. Wir sind erlöst von der totbringenden, abtickenden Chronos-Zeit des Vergehens.

      Beste Grüße von Jens

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